Endlich Urlaub! Ein Tag am Meer mit einer schwerstmehrfach beeinträchtigten Reisegruppe

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Bad Oeynhausen-Volmerdingsen/Cuxhaven (JP). Es ist 6.30 Uhr als Claudia Spehr Jodi Mamods Rollstuhl im Bulli sichert. Die Vitalwerte des schwerstmehrfach beeinträchtigen Mannes werden 24 Stunden von einem Pulsoximeter überwacht. Auf einmal piept es. Sein Puls ist erhöht. „Das ist die Aufregung, denn heute geht es für Jodi ans Meer“, sagt Claudia Spehr. ­

„Haben wir Jodis Gepäck? Den Notfallkoffer? Wo sind die Medikamente? Muss er noch etwas nehmen?“, fragt die Pflegeexpertin ihre Kolleginnen, die den 35-Jährigen für seinen Urlaub vorbereitet haben. Alles gepackt, die Fahrt kann losgehen.

Viel zu bedenken

„Wir müssen auch für so einen Kurztrip – Jodi bleibt nur zwei Tage in Cuxhaven – an unglaublich viel denken: ein Absauggerät und -katheter, Notfall-Medikamente, Versorgungsmaterial, einen Ersatz-Beatmungsschlauch, Sondennahrung und vieles mehr. Das allein füllt eine Reisetasche“, erklärt Claudia Spehr, verantwortliche Fachkraft Pflege im Wittekindshofer Wohnhaus Bethanien.

Der Urlaub im barrierefreien Ferienhaus der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Cuxhaven-Duhnen war seit vielen Jahren geplant, aber während der Corona-Krise nicht möglich. Doch diesen Herbst haben sich acht Männer und Frauen sowie acht Mitarbeitenden auf den Weg gemacht. Jodi Mamod gehörte nicht dazu. „Jodi muss aufgrund seiner Beeinträchtigungen separat anreisen und von einem Mitarbeitenden mit außerklinischen Beatmungsschein eng begleitet und medizinisch überwacht werden. Es war personell nicht leistbar, zwei weitere Personen für einen Urlaub aus dem Gruppendienst zu ziehen“, erklärt Diakon Christian Pohlmann. Er ist Bereichsleiter des spezialisierten Wohnangebots im Haus Bethanien auf dem Wittekindshofer Gründungsgelände, in dem Männer und Frauen komplexen Mehrfachbeeinträchtigung leben, die auf umfangreiche medizinisch-pflegerische Unterstützung angewiesen sind.

IT-Fachmann übernimmt Fahrdienst

Doch dann kam Alex Sawenko. Der IT-Experte arbeitet bei der Firma Modus Consult in Gütersloh, die es ihren Mitarbeitenden ermöglicht, bis zu drei Sonderurlaubstage zu beantragen, an denen sie sich sozial engagieren. Für Alex Sawenko war direkt klar, dass er in der spezialisierten Wohngruppe helfen will. „Meine Mutter arbeitet dort seit vielen Jahren. Ich kenne einige Menschen und habe auch schon mal ehrenamtlich geholfen“, berichtet der IT-Fachmann. Und so wird Jodi Mamods Urlaub endlich möglich: Alex Sawenko ist die fehlende Kraft. Er fährt den Bulli und Mitarbeiterin Claudia Spehr übernimmt die pflegerisch-medizinische Begleitung.

Drei Mal muss die Reisegruppe auf dem Weg nach Cuxhaven anhalten. Werte checken, Medizin geben. Dann schließlich fährt der Sprinter auf den Hof des Ferienhauses. „Da ist er endlich, unser Sonnenschein!“, ruft Christian Pohlmann voller Freude. Jodi Mamod ist sichtlich erschöpft von der Fahrt. Claudia Spehr bringt ihn zur Erholung noch einige Zeit ins Bett, bevor es am Nachmittag mit einer kleinen Gruppe ans Meer geht. Valentina Sawenko und Julia Gödecke übernehmen für Claudia Spehr, die sich noch etwas hinlegt, da sie auch die Nachtschicht übernimmt.

Wind, Souvenirs und Tiramisu

Am Deich angekommen lässt sich Jodi Mamod den Wind um die Nase wehen. „Diese Urlaube tun unseren Klienten und Klientinnen unglaublich gut. Wir merken, wie wir hier Fähigkeiten entdecken, die wir im Alltag nicht bemerken. Aber auch Vorlieben, etwa beim Essen, werden erkennbar. Denn auf den Freizeiten haben wir mehr Gestaltungsmöglichkeiten und mehr Zeit. Eine Eins-zu-Eins-Betreuung gibt es sonst nicht, schließlich muss die Versorgung aller Menschen in der Wohngruppe sichergestellt werden“, erklärt Christian Pohlmann.

Nach einem ausgiebigen Spaziergang mit Sonne und Wind geht es in den Souvenir-Shop. Eine Karte für die rechtliche Betreuung von Jodi Mamod, ein Kuscheltier-Schaf im gelben Friesennerz sowie eine Cuxhaven-Fahne für den Rollstuhl werden gekauft. Weiter geht es ins beliebte Eiscafé. Hausgemachtes Tiramisu essen – „mit echtem Amaretto“ wie Valentina Sawenko betont. Durch sein Tracheostoma, eine künstlich gelegte Öffnung zur Luftröhre, ist Jodi Mamods Geruchssinn eingeschränkt und durch die Trachealkanüle ist es schwierig für ihn, etwas zu essen. Mit einem Mundpflegestäbchen, was die Krankenschwester in das Tiramisu stippt und dem 35-Jährigen auf die Zunge streicht, ermöglicht sie ihm trotzdem den Genuss der süßen italienischen Spezialität. „Das schmeckt dir wohl richtig gut“, liest Valentina Sawenko aus der Mimik des Mannes ab. Auf dem Rückweg macht die Gruppe noch einen Schlenker durch den Park und dann geht es zurück ins Ferienhaus.

Große Bereitschaft

Abends steht dann ein griechischer Abend an. Es wird Essen bestellt. Manche essen selbstständig, andere benötigen Hilfe. „Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, alle zusammen hier zu sein. Ich weiß, dass solche Urlaube dienstplanerisch immer eine große Herausforderung sind. Aber eure Bereitschaft, weit über das normale Maß hinaus zu arbeiten, ist unfassbar groß. Mein Dank gilt auch Alex und Claudia, die es ermöglicht haben, dass auch Jodi dabei sein kann“, nutzt Christian Pohlmann die Chance einer kleinen Ansprache. Nach einem Ausklang geht es langsam Richtung Bett.

Jodi Mamod wird in dieser Nacht wenig schlafen. Das Oximeter piept mehrfach. Sein Puls ist leicht erhöht. Vor Freude.