In eigener Sache

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Nach dem die Staatsanwaltschaft Bielefeld Anklage erhoben hat, äußert sich der Wittekindshof zu den Vorwürfen. "Es besteht der Verdacht, dass gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern eines ehemaligen Geschäftsbereiches in Bad Oeynhausen-Volmerdingsen Freiheitsentziehende Maßnahmen und andere Handlungen vorgenommen wurden, durch die unsere Klientinnen und Klienten in ihren Rechten verletzt worden sind", sagt Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshof. "Es ist mir persönlich ein extrem wichtiges und aus tiefem Herzen sprechendes Anliegen, dass Menschen mit Behinderungen keine Gewalt erfahren dürfen und dass solche Vorgänge transparent aufgearbeitet werden müssen. Menschen mit Behinderungen sollen bei uns die bestmögliche Unterstützung erhalten. Sie sollen sich sicher, wertgeschätzt und respektiert fühlen. Sie sollen von uns unterstützt ein menschenwürdiges Leben führen können."

Gewaltvorwürfe aufklären

Die Stiftung tue daher alles in ihrer Macht Stehende, um die Gewaltvorwürfe aufzuklären: "Als uns die ersten Vorwürfe seit Oktober 2019 durch die Ermittlungsbehörden bekannt gemacht wurden, haben wir in allen angesprochenen Bereichen sofort die gebotenen Konsequenzen gezogen." Der betreffende heilpädagogische Intensivbereich wurde komplett aufgelöst. "Gegenüber dem ehemaligen Leiter des Geschäftsbereiches haben wir eine Kündigung und außerdem ein Hausverbot ausgesprochen. Die anderen Angeschuldigten sind schon seit langem nicht mehr im Dienst. Gegen sie und weitere Mitarbeitende haben wir arbeitsrechtliche Konsequenzen angeordnet und vollzogen: Beendigungen des Arbeitsverhältnisses, Versetzungen und Abmahnungen. Und wir haben sie sehr zügig vom Dienst freigestellt. Bei diesen Fragen haben wir eng mit der Heimaufsicht im Kreis Minden-Lübbecke zusammengearbeitet", sagt Starnitzke.

Zeitgleich hat die Stiftung ihre Konzepte und Strukturen geprüft und überarbeitet. "Wir haben eine vollständige Überarbeitung unserer vorher schon sehr umfangreichen Fachkonzeption zur Gewaltprävention und zu Freiheitsentziehenden Maßnahmen vorgenommen. Einmal jährlich werden darin – wie schon in den Jahren zuvor – alle Mitarbeitenden im Betreuungsdienst verpflichtend geschult. Freiheitsentziehende Maßnahmen als letztes Mittel müssen dabei nach dem neuen Konzept, wo immer das die personelle Besetzung ermöglicht, nach dem Vieraugenprinzip durchgeführt werden. Die Bereichsleitung muss täglich die Abläufe überprüfen, die vorgesetzte Geschäftsbereichsleitung zusätzlich wöchentlich."

Zudem habe die Stiftung die Vorgaben des neuen Teilhabestärkungsgesetzes von Juni 2021 konsequent umgesetzt und Ende Februar dieses Jahres ein institutionelles Gewaltschutzkonzept erarbeitet, das mit der für das Wohn- und Teilhabegesetz zuständigen Behörde abgestimmt wurde. Der Wittekindshof habe seine fachlich-konzeptionellen Entwicklungen in enger Kooperation mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe als zuständige Behörde entschieden vorangetrieben. Starnitzke: "Für jeden der Bewohnerinnen und Bewohner des ehemaligen Intensivbereiches wurden hoch individualisierte neue Betreuungs- und Wohnkonzepte aufgestellt und verbindlich vereinbart. Dadurch wurde deren Wohnsituation grundlegend verbessert. Die Kinder, Erwachsenen und Senioren, für die wir arbeiten, sind unsere Auftraggeber. Gemäß unserem Leitbild stehen ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt all unserer Anstrengungen."

Grenzen der Eingliederungshilfe

Der Vorstandssprecher macht aber auch die Grenzen der Eingliederungshilfe deutlich. "Man wird immer auch sehen müssen, dass es unter unseren Klientinnen und Klienten etliche Menschen gibt, bei denen Selbstgefährdungen und ebenso massive Fremdgefährdungen eine ständige Bedrohung darstellen. Es sind Menschen, die sich selbst verletzen wollen und deshalb täglich vor sich selbst geschützt werden müssen. In diesem Zusammenhang muss ich ganz klar sagen, dass es nicht nur bei uns, sondern in unserem ganzen Lande viele Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf gibt, die unter den bisherigen Bedingungen der Eingliederungshilfe aufgrund ihres Verhaltens kaum angemessen unterstützt werden können. Wir meinen deshalb, dass dafür dringend eine deutliche Ausweitung der Betreuungsmöglichkeiten landesweit nötig ist, entweder innerhalb der Eingliederungshilfe oder in einem eigens dafür neu zu schaffenden Betreuungssystem. Das betrifft die organisatorischen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen, aber auch die entsprechenden rechtlichen Fragen, gesetzlichen Vorgaben und fachlichen Entwicklungen."

Exakt zu dem gleichen Ergebnis sei auch eine vom Sozialministerium NRW eingesetzte Expertenkommission zum Thema "Herausforderndes Verhalten und Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe" gekommen. "In ihrem Abschlussbericht, der im Februar dieses Jahres im Landtag präsentiert wurde, sind die gravierenden Defizite des bestehenden Betreuungssystems aufgezeigt und dokumentiert worden. Zugleich wurden dazu neue und klare Empfehlungen ausgesprochen. Einige davon sind schon in die Neufassung des Wohn- und Teilhabegesetzes NRW eingeflossen. Aber das reicht bei weitem noch nicht aus. Wir appellieren hier dringend an die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, auch die anderen Empfehlungen der Kommission konsequent weiter umzusetzen. Mit diesen Feststellungen wollen wir aber nicht von eigenen Versäumnissen ablenken", betont Starnitzke.

Historische Verantwortung

"Bitte haben Sie Verständnis, dass wir angesichts des laufenden gerichtlichen Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter auf konkrete Vorwürfe eingehen dürfen. Seien Sie aber versichert, dass Vorstand und Stiftungsrat nicht eher ruhen werden, bis diese Geschehnisse restlos aufgeklärt und aufgearbeitet sind." Dies sei auch eine historische Verantwortung, betont der Vorstandsprecher mit Blick auf die 1950er und 1960er Jahre, in denen Menschen mit Behinderung Gewalt im Wittekindshof erfahren haben. „Gegenüber den betroffenen Menschen will ich mein aufrichtiges Bedauern zum Ausdruck bringen. Und ich möchte sie um Entschuldigung bitten – für das, was sie im Wittekindshof erlitten haben sollen.“