60 Jahre Wittekindshof Gronau: Aus Notlösung wird Angebotsvielfalt für den Nordkreis Borken

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Gronau/ Kreis Borken (AM).Wohnortnah Menschen mit Behinderung die Unterstützung anbieten, die sie benötigen, ist heute das Ziel der Diakonischen Stiftung Wittekindshof. Aus fünf großen Standorten sind deswegen in den letzten Jahren Angebote und Einrichtungen in zwanzig Kommunen mit weit über hundert verschiedenen Adressen entstanden. In den Kreis Borken ist die evangelische Einrichtung für Menschen mit Behinderung vor 60 Jahren gekommen. Auslöser waren Platznot im Wittekindshof in Ostwestfalen, Aufnahmeabsagen und ein leerstehende Mädchenwohnheime der Spinnerei Deutschland. Das Jubiläum ist Anlass für ein zweitägiges Fest am ersten Septemberwochenende und einen Rückblick auf die Entwicklung der Wittekindshofer Arbeit, die sich heute auch an Familien und Menschen ohne Behinderung wendet.

Von der Textilindustrie zur Behindertenhilfe

In der Nachkriegszeit haben im ganzen Land Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung gefehlt. Der Landschaftsverband aus Münster hat deswegen am 8. März 1956 die Verantwortlichen im Wittekindshof auf das leerstehende Gronauer Annaheim aufmerksam gemacht und den Kauf von der Spinnerei Deutschland gefördert. Bereits im September 1956 konnten nach Umbauarbeiten die ersten Mädchen und Frauen mit Behinderung aus dem Wittekindshof in Bad Oeynhausen in das Annaheim umziehen. Die Betreuung übernahmen Diakonissen aus Münster.

In den nächsten Jahren kaufte der Wittekindshof in der Nähe ein weiteres Wohnheim der Textilindustrie, ein Mehrfamilienhaus und ein Einfamilienhaus sowie eine ehemalige Gaststätte, um auch für Jungen und Männer mit Behinderung in Gronau Wohnmöglichkeiten zu schaffen. Mit den ersten männlichen Bewohnern kamen auch Mitarbeitende aus Bad Oeynhausen nach Gronau. Der damalige Leiter des Wittekindshofes Pastor Dr. Johannes Klevinghaus betonte, dass der Kauf der vorhandener Immobilien nur etwa ein Drittel so teuer wie Neubauten seien: „Nicht weil wir ‚so reich‘ sind haben wir Haus bei Haus gekauft, sondern weil wir so arm sind und auf uns die Verantwortung spüren, die wir gegenüber der Öffentlichkeit haben.“

Annaheim ist eine Wiege der Kirchengemeinde

Von Anfang an hat auch die evangelische Kirchengemeinde den Wittekindshof Gronau gefördert. Pfarrer Walter Wahlbrink erklärte zum 20-jährigen Jubiläum, dass sich die Kapelle des Annaheims, in der er regelmäßig Gottesdienste anbot, bis in seinem Gemeindebezirk die Erlöserkirche gebaut wurde, zu einer „Wiege der Gemeinde“ entwickelt habe. „Von hier aus gingen missionarische und diakonische Impulse auf die Gesamtgemeinde über.“

Mehr als Wohnangebote

Die Wittekindshofer Arbeit wuchs quantitativ und  die Angebotspalette verbreiterte sich. In den Wohnheimen lebten Menschen mit zum Teil schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung. In die ehemaligen Gasstätte, das Matthias Claudius Heim, zogen junge Männer, die in der Wittekindshofer Schule und den Handwerksbetrieben so viel gelernt hatten, dass sie sich auf den Auszug und eine selbständiges Leben vorbereiteten. Als besonderes Angebot richtete der Wittekindshof auf Bitten der Stadt Gronau eine Jugendschutzstelle für Jugendliche ein, die an der Grenze aufgegriffen wurden.

Auf Anregung und mit Unterstützung der Kreisvereinigung Ahaus der Lebenshilfe sowie mit Förderung der Stadt Gronau, der Gemeinde Epe und des Kreises Ahaus eröffnete der Wittekindshof 1968 eine Tagesbildungsstätte für geistig behinderte Kinder und Jugendliche. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde eine Anlernwerkstatt in der ehemaligen Schule in Alstätte-Brook eingerichtet. Für die Tagesbildungsstätte wurde 1973 ein Neubau errichtet. Um Arbeitsplätze für die Frauen und Männer zu schaffen, die in den Wittekindshofer Wohnheimen lebten, aber auch für Menschen mit Behinderung, die bei ihren Familien wohnten, wurde 1975 die Werkstatt errichtet. Aus der Tagessförderstätte hat sich eine Sonderschule, die heutige Johannesschule, ein Heilpädagogische Kindergarten in Alstätte und die Frühförderung entwickelt. Sie ist 1988 in das alte Kreishaus in Ahaus umgezogen und wendet sich bis heute ausgehend vom Familienzentrum Scheelenkamp in Ahaus an Familien mit behinderten Kindern oder Mädchen und Jungen mit Entwicklungsverzögerungen im gesamten Nordkreis.

Lebenshilfe und Wittekindshof ergänzen sich

An vielen Orten entwickelte sich zwischen der Lebenshilfe und traditionsreichen konfessionellen Einrichtungen ein Konkurrenzverhältnis. In Gronau und im Kreis Borken haben sich früh beide zusammen zugunsten von Menschen mit Behinderung engagiert. Schon 1976 sprach der damalige Vorsitzende der Lebenshilfe von einer herzlichen Partnerschaft, die zur Gründung der Schule, des Kindergartens, der Werkstatt und der Wohnangebote geführt haben: „Der Wittekindshof hat seine Erfahrungen, sein Fachwissen, seine Organisation und seine personellen Kapazitäten hineingegeben, die Lebenshilfe ihr Initiative, ihre Ortskenntnis und nicht zuletzt ihre Geldquellen. Ein Experiment ist gelungen – über alle möglichen Hindernisse hinweg, seien sie konfessioneller, kommunalpolitischer oder juristischer Natur.“

Anerkannte Bürger der Stadt Gronau

Der Wittekindshofer Vorsteher Pastor Willi Schwennen erklärte 1979: „Das Miteinander unserer Heime und ihrer Bewohner mit fast allen Einrichtungen, Betrieben und Menschen der Stadt kann nicht vorbildlicher sein. Unsere Behinderten sind von der Bevölkerung Gronau aufgenommen und angenommen.“ Schon wenige Jahre zuvor hatte der Gronauer Bürgermeister zusammen mit dem Stadtdirektor erklärt: „Die Menschen im Wittekindshof werden von der Bevölkerung als Gronauer anerkannt und fühlen sich selbst als Bürger der Stadt Gronau.“

Ständiger Wandel: Neu- und Umbauten

Ein Großfeuer zerstört 1987 die Werkstatt, die danach wiederaufgebaut wird. Zeitgleich beginnen die Planungen für den Umbau des Annaheims. In einem Architekturwettbewerb bekommen die Planungen mit vier Neubauten den Zuschlag, die einen Kern des Annaheims erhalten, das heutige Verwaltungsgebäude. Bei Abschluss der Arbeiten 1995 sind Wohnmöglichkeiten für 188 Personen in Ein- und Zweibettzimmern entstanden. Damit wurden die großen Schlafsäle abgeschafft und Standards für die Gesamtstiftung gelegt. Durch Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen werden in den nachfolgenden Jahren auch die Johannesschule und die Werkstatt an die veränderten Standards angepasst.

Förderung der Inklusion

1999 entsteht das erste dezentrale Wohnnagebot in einem knapp vier Kilometer weit entfernt gelegenen Wohngebiet. Später kommt das Ambulant Unterstützte Wohnen in Gronau, Ahaus und Umgebung hinzu, so dass immer mehr Menschen mit Behinderung in der eigenen Wohnung in unmittelbarer Nachbarschaft zu Menschen ohne Behinderung wohnen. Als Treffpunkt wird 2005 in der Bahnhofsstraße das Kontakt- und Informationszentrum eröffnet, das 2014 um ein Café erweitert wird und an den Kurt-Schumacher Platz umzieht. Wie bereits vor einigen Jahren in den Annaheimen, entstehen auch hier Räume für Tagesstrukturierende Angebote. Sie eröffnen einen zweiten Lebensraum neben dem Wohnumfeld für Menschen mit Behinderung, die aufgrund der Schwerer ihrer Behinderung oder weil sie bereits das Rentenalter erreicht haben, nicht arbeiten.

Zur Förderung der Inklusion, dem selbstverständlichen Zusammenleben ganz unterschiedlicher Menschen, wird der heilpädagogische Kindergarten zu drei Familienzentren mit Kindertagesstätten für Mädchen und Jungen mit und ohne besonderen Förderbedarf weiterentwickelt.

Heute: Der Wittekindshof Gronau im Kreis Borken

Heute bietet der Wittekindshof Gronau Wohnmöglichkeiten für rund 30 Kinder und Jugendliche sowie 230 Frauen und Männer in den Annaheimen, im Elisabethheim und in weitere Wohngemeinschaften in Gronau. In der eigenen Wohnung in Gronau, Ahaus und in den umliegenden  Gemeinden leben 116 Personen mit ambulanter Unterstützung oder in einer Gastfamilie. Insgesamt nutzen über 550 Kinder aus dem Nordkreis Borken die Frühförderung, die Kindertagesstätten in den drei Familienzentren und den Familienunterstützenden Dienst oder besuchen die Johannesschule. Die Wittekindshofer Werkstätten bieten Berufsbildung und Arbeitsplätze für rund 290 Frauen und Männer mit Behinderung oder psychischer Erkrankung aus Gronau und Epe.

Sommerfest und Gottesdienst zum Jubiläum

Das 60-jährige Jubiläum des Wittekindshofes in Kreis Borken wird am ersten Septemberwochenende gefeiert. Am Samstag findet von 11 bis 17 Uhr ein Sommerfest mit Motorradrundfahrten, Bühnenpro gramm  und vielen Mitmachaktionen rund um die Wittekindshofer Werkstätten am Schürblick 2-4 in Gronau statt. Am Sonntag wird der Gemeindegottesdienst in der Gronauer Stadtkirche als Festgottesdienst zum Jubiläum gemeinsam von der evangelischen Kirchengemeinde Gronau und der Diakonischen Stiftung Wittekindshof gestaltet. Im Anschluss findet mit geladenen Gästen ein Festakt statt.

Kontakt für Motorradfahrer, Biker, Quad und Trike- und Gespannfahrer

Wer bei den Rundfahrten mit seiner Maschine ehrenamtlich mitmachen möchte, meldet sich bitte bei Frank Oude-Lansink, Telefon: 0173 276 70 88.

<link https: www.wittekindshof.de presse pressemitteilung preid wittekindshof-feiert-mit-sommerfest-und-gottesdienst-jubilaeum-1472162400 external-link-new-window>Weitere Informationen zum Sommerfest unter Pressemitteilungen.