Ausgabe 2020EinBlickGeschäftsbereich Wohnen 11 für die Standorte Herne und Oberhausen

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

das Jahr 2020 hatten wir uns alle ganz anders vorgestellt. In unserer letzten Ausgabe des Einblicks haben wir durch unsere Terminpinnwand auf zahlreiche Veranstaltungen der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Herne und Oberhausen wie beispielsweise das Sommerfest oder die Vollversammlung des Angehörigenbeirats für dieses Jahr hingewiesen. Seit Mitte März mussten wir feststellen, dass diese Pläne von Woche zu Woche unrealistischer wurden und die Absage sämtlicher Veranstaltungen zur bitteren Wirklichkeit wurde. Die Dynamik, mit der die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Verordnungen über uns hereinbrachen, hat all unsere Flexibilität, Kreativität, Motivation, aber auch unseren Mut gefordert, damit wir uns mit angemessenen und kontinuierlich angepassten Maßnahmen der Infektionsausbreitung entgegenstellen und trotzdem soziale Teilhabe so gut es geht ermöglichen. Plötzlich konnten viele Menschen ihre Lieben nicht mehr sehen, durften nicht mehr zur Arbeit gehen oder Freizeitangebote nicht mehr nutzen. Dies hat uns alle belastet und hatte große Auswirkungen auf unsere Lebensführung.

Viele Beiträge dieses Heftes zeigen, welche zahlreichen positiven Ereignisse und Erlebnisse dennoch ermöglicht wurden und welche Glücksmomente wir auch gemeinsam in diesem Jahr erleben durften – trotz und manchmal sogar wegen der Corona-Pandemie. Die Idee zum Seifenkistenbau in unserem Kinder- und Jugendbereich ist ein Beispiel, wie kreative Ideen umgesetzt wurden, die durch die Schließung der Schulen und das Fehlen der Tagesstruktur entstanden und Freude und Miteinander im neuen Alltag ermöglichten.

Ganz herzlich möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Klientinnen und Klienten, Mitarbeitenden, Freiwilligen, Angehörigen, Unterstützerinnen und Unterstützern sowie bei unseren Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern bedanken, die trotz aller bisweilen sehr belas­tender Umstände füreinander einstehen und es auch in 2020 getreu dem Motto des Wittekindshofes miteinander ermöglicht haben, Menschenwürde zu gestalten.
 
„Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
(2. Timotheus 1,7)

Aus diesem Bibelvers und dem Geleisteten im Jahr 2020 können wir viel Optimismus für das Jahr 2021 schöpfen. Was genau kommt, wissen wir nicht! Es liegt an uns, gemeinsam das Beste daraus zu machen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr. Bleiben Sie behütet!

Herzlichst Ihr

Matthias Jacobstroer

Seifenkisten

Was für ein willkommenes Projekt! Während der Schulschließung in der Corona-Zeit und in den anschließenden Sommerferien wurde im Mehrzweckraum und bei gutem Wetter im Garten des Kinder- und Jugendbereiches der Bielefelder Straße fleißig gearbeitet. Mit großer Begeisterung haben die Jungs entworfen und ihre Ideen eingebracht, das Material mit ausgesucht, gesägt, geschliffen, gebohrt, geschraubt,  gedübelt, nach und nach zusammen gebaut, angemalt und lackiert. Der Umgang mit den benötigten Werkzeugen, wie z.B. dem Akkuschrauber,  war für einige Hobbybastler anfangs sicherlich eine Herausforderung – ging aber später spielend leicht und wie selbstverständlich von der Hand. Besonders stolz waren die kleinen Fahrzeugbauer, wenn alles wie geplant funktionierte.

Das Projekt wurde ermöglicht mit Spendengeldern des Wittekindshofes – dafür sagen die Kids ganz herzlichen Dank!

Familienunterstützender Dienst (FuD) Herne feiert seinen 1. Gebutstag

Die geplante Party konnte leider nicht stattfinden, aber pünktlich zum 01.07. erlaubte es die Corona-Schutzverordnung, dass die Begleitung durch den FuD wieder möglich war – wenigstens das! Das Feiern mit den Einsatzkräften und den Kunden des neuen Dienstes muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden – vielleicht zum 2. Geburtstag?

Es wäre schon eine etwas größere Gästerunde im Kontakt- und Informationszentrum (KIZ) geworden, denn mittlerweile gehören 21 geschulte und fachlich begleitete ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zum Team, die 38 Kunden im Alter zwischen 3 und 67 Jahren begleiten und unterstützen – sowohl regelmäßig als auch gelegentlich nach Bedarf. Fast alle Kunden nehmen dafür den Entlastungsbetrag ihrer Krankenkasse in Anspruch.* Die Einsatzkräfte kümmern sich um 25 Kinder, Frauen und Männer aus den Wittekindshofer Wohnhäusern und  unterstützen 13 Herner Familien, davon 3 im Auftrag des Jugendamtes und in Kooperation mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe des Teams der „Ambulanten Dienste“. Beliebt sind bei den Kunden Spaziergänge und Ausflüge in Herne und Umgebung, die Begleitung zum Schwimmen oder zum Basketball-Spielen, Besuche in Einkaufszentren, gemeinsame Kinobesuche, Straßenbahn oder U-Bahn fahren, Ausflüge mit dem Fahrrad und vieles mehr – je nach den persönlichen Wünschen und Vorlieben der Menschen mit Behinderung. Aber auch die Unterstützung im Haushalt und die Begleitung alltäglicher Wege gehört zu den Aufgaben mancher Einsatzkräfte.

* Jede pflegebedürftige Person mit einem anerkannten Pflegegrad von 1 bis 5 kann den Entlastungsbetrag der Krankenkassen in Anspruch nehmen. Auch Menschen mit Behinderung, die in einer der verschiedenen Wohnformen des Wittekindshofes leben, sind anspruchsberechtigt, da die Begleitung und Unterstützung 1:1 durch FuD Einsatzkräfte und außerhalb des jeweiligen Wohnhauses stattfindet.

Ausbildung erfolgreich beendet

Den erfolgreichen Absolventinnen Melissa Dyba, Jil-Alicia Ruoß, Neele Kleschies (v.l.n.r.) gratuliert Matthias Jacobstroer

Melissa Dyba, Neele Kleschies und Jil-Alicia Ruoß haben im Juni 2020 ihre Abschlussprüfungen am Comenius-Berufskolleg in Witten bzw. am Berufskolleg des Ev. Johanneswerkes in Bochum mit sehr guten Noten abgeschlossen. Die drei jungen Damen dürfen sich nun stolz staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerinnen nennen. Bereits Anfang des Jahres hatten sie die Wittekindshofer Zusage für die Übernahme in ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis als Fachkräfte in den Taschen.

Auch wenn das Ende der Schulzeit coronabedingt sehr holprig verlief, viele Termine und Planungen nicht stattgefunden haben und einige Abläufe sehr improvisiert werden mussten, blicken die drei jungen Damen durchweg positiv auf ihre Ausbildung zurück. „Die theoretische Ausbildung im Berufskolleg war immer eine gute Basis für die Anforderungen in der Praxis“, resümiert Neele. „Ich fühle mich gut vorbereitet auf die nun anstehenden Aufgaben als Fachkraft im Wohnbereich Burgstraße.“

Melissa und Jil-Alicia, die im dritten Ausbildungsjahr in unterschiedlichen Wohnbereichen ausgebildet wurden, haben das gruppenübergreifende Projekt „Als Gemeinschaft in den Advent“ durchgeführt. „Wir durften super selbständig planen und arbeiten und wurden von den Chefs und den Teams großartig unterstützt – das hat uns und den Bewohnerinnen und Bewohnern ganz viel Spaß gemacht“, freuen sich die beiden immer noch über ihre gelungene Aktion, für die es auch eine gute Note gab!

Seit 2011 ist der Wittekindshof Kooperations- und Vertragspartner des Comenius-Berufskollegs in Witten. Gemeinsames Angebot ist die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) zum Heilerziehungspfleger und zur Heilerziehungspflegerin. Mittlerweile haben 25 junge Menschen dieses dreijährige Modell durchlaufen:

  • zwei Tage schulischer Unterricht
  • drei Tage Praxis
  • jährlicher Wechsel des Wohnbereiches, um ein möglichst breites Spektrum der Arbeit  (Pflege, Pädagogik, besondere Behinderungsbilder) kennen zu lernen.

Auch mit anderen Berufskollegs der Region arbeitet der Wittekindshof zum Thema Ausbildung in unterschiedlichen Modellen zusammen.

Allen Absolventinnen und Absolventen wurde nach bestandener Prüfung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angeboten, die meisten haben es auch angenommen.

 

Jan-Hendrik ist angekommen

„Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird!“
Christian Morgenstern, deutscher Dichter (1871-1914)

Jan-Hendrik Schäfer ist 2008 aus seinem Elternhaus in Herten ausgezogen in eine Wohngemeinschaft der Diakonie Recklinghausen. Neun Jahre lang lebte er als einziger mit dem Prader-Willi-Syndrom (PWS) zusammen mit anderen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Immer weniger kam er damit zurecht, dass das Betreuungskonzept nicht zu seinen speziellen Bedürfnissen passte. Er entwickelte Misstrauen gegenüber dem Betreuungsteam und teils sehr aggressive Verhaltensweisen gegenüber seinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern. 2017 zogen die Eltern die Notbremse und meldeten ihn im neuen PWS-Wohnangebot in der Mont-Cenis-Straße 158 in Herne-Sodingen an.

Hier fühlt er sich mittlerweile wohl, hier geht es ihm gut, hier ist er daheim. Der 32-Jährige wohnt in einem Appartement zusammen mit seinem Mitbewohner Alexander. Die beiden jungen Männer teilen sich die Küche, das Bad und das Wohnzimmer und lieben ihre Einzelzimmer als individuell gestaltete Rückzugsorte.

Ständig wiederkehrende Verpflichtungen im Haushalt wie Zimmerputz, das Beziehen des Betts und das wöchentliche Wäschewaschen gehören für Jan-Hendrik mittlerweile genauso selbstverständlich zur Alltagsroutine wie das tägliche Ausräumen der Spülmaschine oder das Ordnunghalten in den gemeinschaftlich genutzten Bereichen und werden selbständig, selbstverständlich und ohne Murren erledigt. Auch die Selbständigkeit bei der Essenszubereitung hat sich sehr verbessert. Mittlerweile bereitet er seine täglich benötigten Milch- und Brotmahlzeiten für Frühstück und Abendessen unter der Anleitung der Mitarbeitenden selbständig vor, wiegt Marmelade, Frischkäse, Wurst und Käse alleine ab und deponiert sie unbehelligt im eigenen Kühlschrank.

Bewegung ist für Jan-Hendrik ganz wichtig: Der junge Mann steigt montags und donnerstags aufs Trimm-Rad, mag den KIZ-Sportreff mit Max im Stadtgarten und ganz besonders sein Judo-Training. Seit 2017 trainiert er alle 14 Tage beim DSC in Wanne-Eickel und hat 2018 die Prüfungen des Deutschen Judo-Bundes für den weiß-gelben Gürtel gemacht sowie 2019 den gelben Gürtel geschafft. Zum Training fährt er mit dem Bus, seine Mutter holt ihn von dort oft mit dem Auto ab und bringt ihn zurück. Jan-Hendrik hofft, dass die coronabedingte Zwangspause bald vorbei ist, denn er vermisst das Training sehr.

Auch beim Thema Arbeit ist Jan-Hendrik gut aufgestellt und benötigt keine Unterstützung. Pünktlich steht er morgens auf, muss an Körperpflege und angemessene Bekleidung nie erinnert werden, steigt um 06:30 Uhr  in den Bus der Linie 311 ein, der ihn zum Herner Hauptbahnhof bringt, wechselt dort in den Schnellbus 20, mit dem es dann in die Recklinghäuser Werkstatt der Diakonie in der Hubertusstraße geht. Dort arbeitet er im Montagebereich und verpackt vorwiegend medizinischen Sachbedarf. In der Kantine wählt er sich ein für ihn kalorienmäßig angemessenes Mittagessen und gönnt sich ab und zu mal einen Nachtisch – je nachdem, was es gibt. Nach Feierabend um 15:00 Uhr fährt er den gleichen Weg zurück und ist dann um 15:45 Uhr wieder in Herne, freitags auch schon eine Stunde eher.

Nach Feierabend zockt er in seinem Zimmer gerne Fußball oder Kampfspiele auf seiner Playstation und schaut als ausgesprochener Serien-Fan gerne Folgen von „Niedrig und Kuhnt“, „Alles, was zählt“, „Unter uns“ oder „GZSZ“, wovon er von Anfang an ein treuer Anhänger ist. Manchmal trifft er sich auch mit Alina in der Gemeinschaftswohnung auf eine Runde „Skip-Bo“. Alle 14 Tage freut er sich auf das Treffen der „Freitags-Gruppe“ der Lebenshilfe unter Leitung von Lena, an dem er schon seit vielen Jahren gerne teilnimmt. Dann fährt er mit dem Bus nach Recklinghausen, trifft sich um 17:00 Uhr am Hauptbahnhof mit Gleichgesinnten zum Stadtbummel im Palais Vest oder in der Innenstadt. Am Ende gibt es immer die gemeinschaftliche Einkehr auf einen Snack und ein Getränk, „und dann gönne ich mir auch mal etwas Ungesundes wie Döner, Pommes oder eine Box beim Chinesen – ist aber eine Ausnahme, weil das zu viele Kalorien für mich sind!“ berichtet er wie selbstverständlich.

Alle 14 Tage verbringt Jan-Hendrik das Wochenende bei seinen Eltern in Herten-Langenbochum. Dort, wo er bis 2017 daheim war, hat er immer noch ein kleines, eigenes Zimmer. Dann genießt er es, auszuschlafen, mit den Eltern Klamotten oder Schuhe shoppen zu gehen und den Lieblingsfriseur zu besuchen. Er mag die gesunde Hausmannskost von Mama besonders gerne, die für alle das Gleiche kocht. „Nur wenn es Spaghetti Bolognese gibt, steigt der Papa aus, das mag der nicht! Das kocht die Mama nur für mich“ freut sich der Sohnemann.

Es gibt auch Bereiche, die Jan-Henrik gerne noch weiter üben möchte und wo er Unterstützung braucht:
Der Umgang mit Geld gelingt ihm in der Größenordnung seines Taschengelds, größere Summen kann er noch nicht gut überblicken. Das selbständige Einkaufen aller notwendigen Waren für den täglichen oder wöchentlichen Bedarf ist eine knifflige Aufgabe, die ihm noch Kopfzerbrechen bereitet. Auch bei Verträgen, bei der Sparkasse und anderen Behörden, verlässt er sich gerne auf seine Mutter, die ihn als gesetzliche Betreuerin unterstützt. Auch fällt ihm der Umgang mit unvorhergesehenen Situationen schwer. Da gerät er schnell in Stress und weiß sich nicht recht zu helfen, wenn dann kein Mitarbeitender oder die Eltern greifbar sind. Genauso ist es, wenn er die Prioritäten bei seinen Aufgaben nicht selbst setzen kann. Dann wächst ihm die Situation schon einmal über den Kopf und „ich bekomme richtig schlechte Laune“, sagt er zerknirscht. Ungerechtigkeiten kann er überhaupt nicht leiden, da wird er richtig sauer und braucht reflektierende Gespräche, um wieder runterzukommen.

Jan-Hendrik hat vom Wittekindshofer PWS-Konzept, das er daheim in der Mont-Cenis-Straße erleben durfte, maximal profitiert. Verlässliche Mahlzeiten und klarer Rahmen, verbindliche Absprachen und zuverlässige, für alle geltende Spielregeln sowie regelmäßige Reflektionsgespräche braucht er genauso wie ein Maximum an Individualität im Rahmen seiner Möglichkeiten. Mit seinen bisher erworbenen und verfestigten Voraussetzungen ist er somit in der Lage, den nächsten Schritt in ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben zu gehen.  

„Ich möchte in meiner eigenen Wohnung leben und mir nur bei den Dingen helfen lassen, die ich noch nicht so gut kann“, sagt er selbstbewusst. „Ich schaffe das schon!“

Beste Voraussetzungen!

Impressum„EinBlick“

Herausgeber: Geschäftsbereich Wohnen 11 der Diakonischen Stiftung Wittekindshof  |  Bahnhofstraße 13  |  44623 Herne
Für den Inhalt verantwortlich: Matthias Jacobstroer
Redaktion: Redaktionskreis „EinBlick“ des Geschäftsbereiches Wohnen 11  |  alle Texte, wenn nicht namentlich ­gekennzeichnet, von Dorothee Blome mit Unterstützung aus den Bereichen von: Daniel Lederbogen, Gera Pordzik, Jan-Olaf Kosthöfer, Marta Jelich, Mersini Ioannidis, Sarah Leichsenring, Sven Nauermann, Jan Schmidt, Sylvia Schmidt, Tim Reineke sowie Gastbeiträge von René Lehringer und Jaqueline Patzer

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion.

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