Melanie Backs „Ich bin selbstbewusster und stärker geworden“

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Melanie Backs geht gerne in die Kirche. Aber das war nicht immer so. „Früher war der Gottesdienst Pflicht. Wer nicht mitging, wurde bestraft und musste etwa den Tischdienst übernehmen oder durfte nicht fernsehen“, erinnert sich die mittlerweile 46-Jährige an ihre Zeit im damaligen Schülerdorf zurück. Seitdem hat sich viel geändert: sowohl auf dem Wittekindshof, als auch in Melanie Backs‘ Leben.

Als 15-Jährige zog die Bad Oeynhausenerin aus einer Pflegefamilie in den Wittekindshofer Kinder- und Jugendbereich auf dem Gründungsgelände in Volmerdingsen. Die Umstellung sei ihr nicht leichtgefallen: „Ich durfte in den ersten Wochen keinen Besuch haben, weil ich mich einleben sollte. Vor jeder Mahlzeit wurde gebetet, sonst durfte man nicht essen.“ Auch die Wohnsituation sei zunächst ungewohnt gewesen. Früher hatte sie ein eigenes Zimmer. Aber „im Vier-Bett-Zimmer war dann nicht viel Platz für persönliche Dinge. Und man musste gut drauf aufpassen“. Und die schöne Sonntagskleidung blieb hinter verschlossenen Türen – „außer, wenn wir in die Kirche mussten. Ich hätte die sonst aber auch gerne mal getragen.“

Krisen und Umzüge

Hinter Melanie Backs liegt ein langer Weg zu mehr Selbstständigkeit und Freiheit. Seit 30 Jahren wird sie von der Stiftung unterstützt und hat in verschiedenen Wohnangeboten des Wittekindshofs gelebt, aufgrund Erkrankungen und traumatischer Erfahrungen auch in geschlossenen Bereichen. „Früher konnte ich viele Sachen nicht alleine machen. Ich musste wegen Krisen aus einer Wohngruppe raus. Ich konnte nicht alleine einkaufen oder spazieren gehen, mich musste immer ein Mitarbeitender begleiten.“

Heute lebt sie in einer Wohngemeinschaft auf dem Gründungsgelände. „Jetzt bin ich stabil und mir gefällt es sehr gut in der WG. Wir sind zwei Frauen und zwei Männer. Ich habe mein eigenes Zimmer mit einem kleinen Balkon. Hier kann ich für mich sein und frische Luft schnappen. Ich gehe gerne auf dem Gründungsgelände spazieren oder zur Reittherapie. Dabei fühle ich mich richtig frei. Im Keller haben wir im Wohnbereich außerdem ein Nähzimmer eingerichtet. Ich habe eine eigene Nähmaschine und nähe da manchmal mit einer Mitarbeiterin Sachen – Tischdecken und so. Wir Mitbewohner machen aber auch gemeinsam etwas.“ Melanie Backs lächelt stolz, während sie ihre Geschichte erzählt und in der Küche Kaffee kocht. Die roten Sitzbezüge in der Essecke und die Metallschilder an den Wänden erinnern an ein amerikanisches Diner. „Das haben wir selbst dekoriert.“

Für sich und andere einstehen

Durch die persönliche Weiterentwicklung und die individuelle Unterstützung hat sich nicht nur ihre Wohnsituation in den vergangenen Jahren verändert: „Ich bin selbstbewusster und stärker geworden“, sagt die Bad Oeynhausenerin. „Ich kann jetzt besser auf Menschen zugehen und weiß, wo ich Hilfe bekomme, wenn ich ein Tief habe. Ich habe auch mehr Vertrauen und weiß, egal, zu welchem Mitarbeitenden ich gehe, die hören mir zu.“ Sie habe außerdem gelernt, für sich und für andere einzustehen.

Bereits als Jugendliche engagierte sie sich im Schüler-Parlament und heute ist sie Mitglied im Gesamtwerkstattrat der Wittekindshofer Werkstätten in Ostwestfalen sowie stellvertretende Vorsitzende des Rates der Betriebsstätte Sonnenbrede in Volmerdingsen. „Das ist mir sehr wichtig. Es gibt Leute, die sich nicht so gut verständigen können. Für die will ich mich einsetzen.“ Um ihre Aufgaben besser zu verstehen, hat Melanie Backs an verschiedenen Schulungen teilgenommen. Dabei habe sie vor allem gelernt, wie sie die Meinung anderer vertreten kann. „Schließlich haben sie mich gewählt. Darum muss man ruhig und sachlich bleiben.“

Früher Pflicht, heute Ehrenamt

Während der Kirchgang früher Pflicht war, gestaltet Melanie Backs heute Gottesdienste aktiv mit. „Ich lese an der Kanzel Texte aus der Bibel vor. Ich gehe gerne in die Kirche, darauf freue ich mich sonntags immer“, sagt sie und nippt an ihrer Kaffeetasse, während sie auf dem Stuhl in der kleinen WG-Küche sitzt. Die 46-Jährige scheint angekommen sein. Ob sie noch Wünsche und Träume hat? „Klar!“, bekräftigt Melanie Backs. „Ich will nicht für immer in Volmerdingsen leben. Aber ganz alleine – das schaffe ich nicht. Ich brauche Ansprechpartner, die mir in einer Krise helfen können. Aber so eine WG wie jetzt, nur mitten in der Stadt, das würde ich schon gerne ausprobieren.“

Melanie Backs lebt seit 30 Jahren auf dem Gründungsgelände in Volmerdingsen.