„Ich fühle mich hier ganz normal" Pierre Fischer kickt in der dritten Herren-Fußballmannschaft von Fortuna Gronau

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„Ich bin, wie ich bin und möchte, dass mich die Leute dann auch so akzeptieren“, sagt Pierre Fischer. Er möchte keinen „Behindertenbonus“. „Wenn ich ein Arschloch bin, bin ich ein Arschloch. Ganz einfach. Nicht, weil ich eine Einschränkung habe, sondern weil ich mich wie ein Arsch verhalte.“ Eine Sonderbehandlung will er auch nicht beim Sport. Daher hat sich der 22-Jährige der dritten Herren- Fußballmannschaft von Fortuna Gronau angeschlossen.

Es ist Dienstagabend und Pierre Fischer packt seine Tasche. Handtuch, Stollenschuhe für den Kunstrasenplatz, Strümpfe – „irgendwas wollte ich noch einpacken“, grübelt er. „Wasser!“ Er greift in die Kiste, die in seinem Wohnzimmer steht, wirft zwei Flaschen Wasser in seine Sporttasche und schnallt sie sich auf den Rücken. Den Weg zum Sportplatz an der Laubstiege legt er mit dem Fahrrad zurück.

Seit knapp zwei Jahren spielt Pierre Fischer bei Fortuna Gronau. Etwa genauso lange lebt er in seinem eigenen Appartement und wird vom Wittekindshof dort unterstützt, wo er Hilfe benötigt, insbesondere bei der Bewältigung des Alltags und des Haushalts. „Ich kann viel alleine machen, aber nicht alles so, dass ich hier nicht wohnen müsste“, erklärt der Gronauer. Pierre Fischer hat eine fetale Alkoholspektrum- Störung. Seine leibliche Mutter hat während der Schwangerschaft Alkohol getrunken. „Ich habe das schon als Baby im Bauch mit aufgenommen und so etwas wie Löcher im Gehirn“, beschreibt er. Sein großer Wunsch ist es, irgendwann alleine in seiner eigenen Wohnung zu leben, vielleicht mit seiner Freundin. Und in der Regionalliga spielen. „Das wäre super“, sagt Pierre Fischer mit einem Grinsen im Gesicht. Bis es dazu kommt, kickt er aber noch fleißig bei Fortuna in der Kreisliga D.

Verstehen, wie Pierre tickt

„Meine Lieblingsposition ist im Sturm. Ich werde aber auch im Mittelfeld, rechts außen oder im Tor eingesetzt. Den linken Flügel spiele ich nicht so gerne. Aber eigentlich will ich nur Fußball spielen. Das kann ich in der Dritten Herren. Die Leute haben mich gut aufgenommen. Hier fühle ich mich ganz normal“, sagt der 22-Jährige, der mittlerweile in sein Trainings-Outfit geschlüpft ist. Dabei war es am Anfang nicht ganz leicht fürs Team, einen jungen Mann mit Behinderung aufzunehmen. „Wir mussten Pierre erst einmal kennenlernen und verstehen, wie er tickt“, sagt Trainer Florian Haupt. „Aber das ist mittlerweile kein Thema mehr. Wir wissen, dass es manchmal schwierig ist mit seiner Konzentration beispielsweise. Aber er hat tolle Fortschritte gemacht, seitdem er mit uns trainiert. Er hat sich fußballerisch weiterentwickelt und spielt ganz normal mit. Pierre wird hier angenommen, wie er ist“, sagt der Coach, der Pierre Fischers Zuverlässigkeit schätzt. „Im Winter ist die Motivation, zum Training zu kommen, nicht immer die höchste. Aber Pierre ist immer da“, sagt Trainer Haupt und wendet sich ans Team, um die nächste Trainingseinheit zu erklären.

Das Pass-Spiel wird geübt. Langer Pass aus dem Strafraum, Annahme und Rückspiel. Danach Flanke ins Mittelfeld und Abschluss aufs Tor. Pierre Fischer versemmelt den langen Pass. „Man, Pierre!“, schallt es über das Spielfeld. „Sorry, Jungs. Meiner.“ Pierre Fischer hebt entschuldigend die Hand. „Nächstes Mal“, sagt einer seiner Mitspieler und nickt ihm zu.

Eigenes Turnier organisiert

Für Pierre Fischer bedeutet das Vereinsleben mehr als nur „etwas mit den Jungs zu kicken“. „Ich engagiere mich auch“, betont er. So kommt es vor, dass er die Trikots der gesamten Mannschaft wäscht, wenn der Trainer es nicht schafft. Oder er bietet sich als Schiri an. „Denn einen Schiri-Schein habe ich auch.“ Aber sein Engagement geht über die dritte Herren-Mannschaft hinaus. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden Dietmar Schaaf und Kai Wissemborski hat der Gronauer ein Wittekindshofer Fußball-Turnier auf die Beine gestellt, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung aus unterschiedlichen Bereichen der Stiftung gegeneinander angetreten sind. Der Clou: Es war ein Spenden-Cup zugunsten geflüchteter Menschen aus der Ukraine. „Der Krieg ist schrecklich. Die Regierung macht ja etwas, aber sie macht nicht genug. Die Menschen haben nichts mehr. Da ist alles kaputt. Die brauchen Geld“, sagt Fischer. Er wollte helfen und sprach Kai Wissemborski als Ideen- und Beschwerdebeauftragten an. „Ich habe gedacht, man kann sich doch sportlich betätigen und etwas Gutes tun“, erklärt Pierre Fischer. Gemeinsam mit Dietmar Schaaf, der die inklusive Mannschaft des Wittekindshofs bei Fortuna Gronau trainiert, und Kai Wissemborski, der ebenfalls im Team ist, erarbeitete Fischer die Turnier-Idee. „Pierre hat dann mit einem Kollegen aus der Werkstatt ein Plakat entworfen, Anmeldebögen verteilt und Mannschaften aufgestellt. Wir haben ihn bei den restlichen Planungen unterstützt“, berichtet Dietmar Schaaf. Beim nächsten Mal könnte es, wenn es nach Pierre Fischer geht, dann ein größeres Turnier sein, mit mehr Zuschauern und mehr Einnahmen.