Gute-Laune-Heavy-Metal-Tage Dominic Schröder sorgt für Festival-Stimmung im Ruheraum

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Der Sound von Gitarren peitscht aus den Musikboxen. Bass drückt aufs Trommelfell. Ein Mann streift sich Schuhe und Socken von den Füßen. Er sitzt in einem Hängesessel, der von der Decke des weißgestrichenen Zimmers baumelt. Seine Füße gleiten über den hellblauen Vinylboden. Dann stößt er sich ab. Der Sessel dreht sich um die eigene Achse, einmal, zweimal, dreimal. Der Mann wiegt seinen Kopf hin und her. Und das Schlagzeug hämmert, während der röhrende Schrei eines Sängers aus den Boxen ertönt. Dominic Schröder verwandelt den Ruheraum in ein Metal-Festival.

Dominic Schröder liebt Musik, laute Musik. Es ist seine Ausdrucksform. Besonders Heavy Metal und Hard Rock haben es dem 30-Jährigen angetan, der im Wittekindshofer Wohnbereich am Vorwerk in Bad Oeynhausen lebt. „Als Dominic ein Baby war, habe ich ihn mir immer auf den Bauch gelegt. Dann haben wir Musik gehört. Metallica und so was in der Richtung“, erinnert sich sein Vater. Mittlerweile ist sein Sohn erwachsen. Der Musikgeschmack ist geblieben.

Werktags besucht der 30-Jährige die TSA, kurz für Tagesstrukturierenden Angebote. Sie bieten Menschen mit Behinderung, die derzeit keiner Arbeit nachgehen können oder schon im Rentenalter sind, Freizeitgestaltung und einen zweiten Lebensbereich.

E-Gitarre statt Entspannungsübung

Bei der Auswahl der Angebote stehen die Vorlieben und Wünsche der einzelnen Menschen im Vordergrund. Während einige Teilnehmenden im Gruppenraum beschäftigt sind, steuert Dominic Schröder zielsicher den Ruheraum an. Sarah Neehus-Lorenz begleitet ihn, führt ihn an der Hand zum Hängesessel. Die examinierte Erzieherin ist in der TSA tätig und kennt Dominic Schröder sehr gut. „Dominic ist fast blind und kommuniziert nur über Laute. Er orientiert sich durch Geräusche und schnalzt mit der Zunge, um seine Umgebung einordnen zu können“, weiß sie.

Der Schall beim Schnalzen helfe ihm, zu erkennen, ob er beispielsweise vor einer Wand oder einem Durchgang stehe. Durch Geräusche erlebe er seine Umgebung. „Wenn der Staubsauger läuft, lacht Dominic häufig. Und wenn Dominic glücklich ist und gute Laune hat, hört er gerne laute, harte Musik“, hat Sarah Neehus-Lorenz festgestellt. Sie nimmt eine CD aus der Plastikhülle und legt sie in den Spieler. Heute ist so ein glücklicher Heavy-Metal-Tag. „Die Musik stammt von einem ehemaligen Auszubildenden, der die CDs mitgebracht hat. Damit hat er Dominics Musikgeschmack voll getroffen.“ Für etwa eine Stunde verwandelt sich der Ruheraum, in einen Metal-Club – E-Gitarre statt Entspannungsübung.

Eine Diskokugel flackert im Licht der bunten Farbkegel, die ein Projektor in den Raum wirft. Dominic Schröder dreht sich begeistert im Hängesessel, während Gitarrenriffs durch den Raum scheppern und bis hinaus auf den Flur dröhnen.

Kinderlieder in Krisenmomenten

„Wenn ihm die Musik nicht gefällt, macht mir Dominic das schnell deutlich. Er steht auf und führt mich dann zum Schrank, wo die Musikanlage steht“, sagt Sarah Neehus- Lorenz. Und wie jeder Mensch, hat Dominic Schröder nicht nur Gute-Laune-Heavy- Metal-Tage. „Wir haben festgestellt, dass er in Krisenmomenten hohe Stimmlagen mag. Das beruhigt ihn und gibt ihm Sicherheit“, sagt die Erzieherin.

Harte Musik ist dann nicht gefragt. „In solchen Situationen hört er Kinderlieder am liebsten.“ Stücke wie „Bruder Jakob“ oder „Old MacDonald hat ’ne Farm“ heben Dominic Schröders Stimmung. „Die Melodien kennt er schon von klein auf. Manchmal summt er mit oder stimmt ins Geläut von ‚Bruder Jakob‘ ein – ‚Ding, Dang, Dong‘.“

Aus den Boxen ertönt das nächste Lied. Dominic Schröder steht auf. Er will tanzen. Sarah Neehus-Lorenz nimmt ihn an die Hand. Gemeinsam hüpfen sie zur Musik von „Amaranthe“, einer schwedisch-dänischen Metal-Band, durch den Raum. Während der Sopran von Sängerin Elize Ryd sich mit sphärisch klingenden Synthesizern und dem Rhythmus von Schlagzeug, E-Gitarre und Bass mischt, wirft Dominic Schröder in typischer Headbanging-Manier den Kopf vor und zurück. „Das ist ein ganz schönes Sport-Programm“, ruft Sarah Neehus-Lorenz über die Musik hinweg und lacht. Auch ihr macht es Spaß – auch wenn die Lieder nicht ganz ihren Geschmack treffen. „Ich höre eher Rosenstolz, das ist was ganz anderes.“

Außer Atem nehmen beide auf dem Bett Platz, das sich in einer Ecke des Raumes befindet. Die Stunde ist fast um, die Musik stoppt, Sarah Neehus-Lorenz hilft Dominic Schröder beim Schuhanziehen. Jetzt ist das Zimmer wieder ein Ruheraum.

Der Bericht ist in der Ausgabe "Taktvoll" des Magazins "Durchblick" erschienen.