Beleben, berühren, beruhigen So kommt die Klangwiege in der Frühförderung zum Einsatz

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Musik aktiviert das Gehirn – beide Hälften – in vielfältiger Weise: den Teil, der für die Motorik zuständig ist, die Sehzentren sowie das limbische System, das maßgeblich für die Emotionen ist. Kurz: Musik belebt, berührt und beruhigt. Sie fördert motorische, intellektuelle und emotionale Fähigkeiten. Diese Bandbreite an Förderaspekten unterstützt den ganzheitlichen Ansatz der Heilpädagogik, nach dem auch in den Therapeutischen Praxen des Wittekindshofs gearbeitet wird. Musik, Töne und Klänge kommen daher beispielsweise auch in der Frühförderung zum Einsatz.

Seelische Entspannung

Benjamin kommt direkt nach dem Kindergarten in die Frühförderung nach Bad Oeynhausen. Er ist von den Eindrücken und Erlebnissen des Tages noch etwas aufgedreht. Für ihn steht jetzt etwas Besonderes auf dem Programm: Er wird in der Klangwiege physisch und seelisch entspannen und seine Emotionen verarbeiten. Die Klangwiege wurde speziell für den therapeutischen Einsatz entwickelt und ist eine halbrunde Wiege aus Holz, die rechts und links außen mit Klaviersaiten bespannt ist. Diese bringen beim Spielen den Holzkorpus zum Schwingen, was sich wiederum auf Benjamin überträgt, der in der Wiege liegt oder sitzt. Benjamin wird von den Klängen von Kopf bis Fuß durchtönt.

Doch in der Wiege liegen möchte Benjamin heute nicht. Er sitzt zunächst vor dem Holzkorpus auf dem Boden und zupft die Saiten kräftig – besonders gern die ganz tiefen Töne. „Benjamin verarbeitet jetzt erstmal seinen bisherigen Tag. Heute ist er aktiver“, sagt Heilpädagogin Helene Teichreb, die Benjamin in der Frühförderung begleitet. „So erfährt er Selbstwirksamkeit und bestimmt über Intensität, Tempo und Lautstärke.“ Sie animiert den Fünfjährigen, sich zumindest in die Wiege zu setzen.

„In der Klangwiege wird vor allem die Körperwahrnehmung gefördert“, erklärt die Expertin. „Benjamin nimmt die entstehenden Schwingungen multisensorisch wahr: Er hört die Töne der Saiten und spürt die Vibrationen taktil über die Haut. Durch das zusätzlich sanfte Schaukeln wird der Gleichgewichtssinn angesprochen und das Kind erfährt durch diese rhythmische Bewegung Sicherheit.“ Durch die besondere Form der Klangwiege und somit die räumliche Begrenzung werde das Gefühl der Geborgenheit verstärkt und das Kind von anderen Umgebungsreizen abgeschirmt.

Nach wenigen Minuten sitzt Benjamin strahlend in der Mitte der Wiege. Freudig klatscht er in die Hände und wippt mit dem Oberkörper nach vorne und hinten. Immer wieder greifen seine kleinen Finger durch die Öffnungen und zupfen an den Saiten. Er horcht auf, grinst, quietscht kurz auf und dann lässt er den Ton über viele Sekunden ausklingen. Dabei sitzt er ganz still und aufmerksam da. Helene Teichreb fasst vorsichtig Benjamins Füße an und beginnt sie seicht zu massieren, um die taktilen Reize zu verstärken. Doch Benjamin guckt sie an und winkelt seine Beine an. Die Heilpädagogin zieht ihre Hände sofort zurück: „Das möchte Benjamin heute nicht. Das zeigt er mir ganz eindeutig.“

Worte werden verständlicher

Um Benjamins Entspannung und Aufmerksamkeit dennoch zu nutzen, beginnt sie eine kleine Abfolge von Fragen: Wo ist deine Nase? Wo ist dein Bauch? Wo sind deine Augen? Benjamin deutet auf die entsprechenden Körperteile. Helene Teichreb tut es ihm gleich. „Benjamin ist jetzt sehr empfänglich für solche ‚Lerneinheiten‘“, erklärt sie. Er liebe Musik, darüber habe sie einen idealen Zugang zu Benjamin gefunden, der nicht mit Worten kommuniziert und Worte auch nur schwer deuten kann. „Durch das Nachahmen der Gesten in Verbindung mit den Klängen und Rhythmen werden Benjamin Worte aber verständlicher.“

Eindrucksvoll wird dies beim Verabschiedungslied deutlich: „Alle Leut’, alle Leut’, geh’n jetzt nach Haus. Große Leut’, kleine Leut’, dicke Leut’, dünne Leut’. Alle Leut’, alle Leut’ gehn jetzt nach Haus“, singt Helene Teichreb und streckt sich nach oben beim Worte „große“, duckt sich beim Wort „klein“ – auch Benjamin macht eifrig mit. Er versteht vielleicht nicht den Inhalt des Liedes, wohl aber, was die Worte „klein“ und „groß“ bedeuten. Zudem zeigt ihm das Lied, dass nun das Ende dieser Förderstunde ist.

„Wir haben auch ein Begrüßungslied. Durch diese wiederkehrenden und einprägsamen Lieder geben wir nicht nur unserer Förderstunde einen Rahmen, es werden auch kommunikationsfördernde Fähigkeiten wie Blickkontakt, Sprechrhythmus und Wortschatz gefördert. Und die begleitenden Bewegungen machen die Worte nicht nur verständlicher, sondern schulen die motorischen und koordinativen Kompetenzen und die Nachahmungsfähigkeiten der Kinder“, erklärt die Heilpädagogin. Benjamin weiß, dass es nun an der Zeit ist, seine Schuhe und Jacke anzuziehen. Er blickt zur Tür und steht auf. Draußen wartet schon seine Mutter, die jetzt einen entspannten Benjamin begrüßen kann.

Der Bericht ist in der Ausgabe "Taktvoll" des Magazins "Durchblick" erschienen.