„Beim Musikmachen verschwindet das, was trennt“ Musikpädagogin der Johannesschule im Interview

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Das Bass-Xylophon ist bei den Kindern und Jugendlichen der Wittekindshofer Johannesschule in Gronau sehr beliebt. „Es hat einen besonders tiefen Klang, und das macht richtig was her, wenn man das Instrument spielt“, weiß Rahel Terstappen-Klöckner. Im Interview berichtet die Musikpädagogin, wie Musik den Spracherwerb unterstützen kann und warum die Vorfreude auf den Musik- und Theaterraum im Neubau der Förderschule so riesig ist.

Welchen Stellenwert hat Musik in Ihrem Leben?

Sie ist um mich herum, seit ich denken kann. Meine Mutter war selbst Musiklehrerin und hat einen Chor geleitet. Mit drei Jahren habe ich angefangen, Flöte zu spielen, und mit sechs Jahren dann Klavier. Ich kann mir ein Leben ohne Musik also gar nicht vorstellen.

Haben Sie ein Lieblingslied?

„Ironic“ von Alanis Morissette. Das Lied begleitet mich schon seit der Pubertät und ich finde es einfach klasse. Generell höre ich ihre Alben heute immer noch sehr gerne, weil ihre Lieder so zeitlos sind. Aber ich mag auch Klassik. Sonaten von Beethoven, Klavierkonzerte von Rachmaninow und Musik von Johann Sebastian Bach. Bachs Musik hat beispielsweise eine ganz klare Struktur. Und das gibt mir persönlich Halt, wenn ich genau das im Leben vermisse.

Apropos Struktur: Bietet Musik für Schülerinnen und Schüler auch im Unterricht oder in der Förderung Struktur und Sicherheit?

Im Musikunterricht ist das so. Die Musik selbst hat feste Strukturen, beispielsweise durch einen festen Rhythmus. In der Praxis habe ich immer wieder erlebt, dass diese Struktur Schülerinnen und Schülern helfen kann, sich zu fokussieren oder den Kopf und das Herz zur Ruhe kommen zu lassen, wenn man so will. Ich habe aber auch festgestellt, dass die Musik einen Rückzugsort während der Schulstunde bieten kann, etwa für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum- Störung. Außerhalb des Fachunterrichts mache ich als Klassenlehrerin in der Oberstufe aber weniger Musik mit den Schülerinnen und Schülern, die meistens zwischen 14 und 16 Jahren alt sind. Zu Geburtstagen gibt es bei uns immer ein Ständchen. Aber die meisten Jugendlichen sind peinlich berührt, wenn es um das gemeinsame Singen geht. Deshalb sind das eher individuelle Situationen, in denen ich mit einzelnen Jungen und Mädchen wirklich musiziere und singe.

Würden Sie trotzdem sagen, dass Musik verbindet?

Ja, auf jeden Fall, beim Musikmachen verschwindet das, was einen trennt. Leistungen treten in den Hintergrund und Schülerinnen oder Schüler, die vielleicht in Mathe oder Deutsch nicht so gut sind, entdecken, dass sie total musikalisch sind, und stecken ihr ganzes Herzblut in die Musik. Sie werden dann auch von ihren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden ganz anders wahrgenommen. Gleichzeitig eint und verbindet das gemeinsame Erleben.

Sie haben eine musikalische Ausbildung in Klavier, Gesang und Gitarre – wie hilft Ihnen diese Ausbildung bei der Gestaltung Ihres Unterrichts an der Johannesschule?

Mir ist durch meine Praxis in der Musik deutlich geworden, dass Rhythmisierung beim Erlernen von bestimmten Kompetenzen helfen kann. Rhythmik findet man nicht nur in Gedichten, sondern auch beim Lesenlernen, wenn man Wörter in einzelne Silben gliedert. Diese Gliederung macht es auch für Schülerinnen und Schüler mit Sprachproblemen einfacher, Worte nachzusprechen und Sätze zu lesen.

Welche Rolle spielt Rhythmik gerade bei der Förderung von Kindern mit Hörschädigungen?

Sprache in bestimmte rhythmische Elemente zu gliedern, kann sehr hilfreich sein. Eine noch größere Rolle spielt aber die Sprachmelodie.

Was heißt das?

Das hat die Natur ganz gut gemacht: Wenn wir mit Kindern reden, die mitten im Spracherwerb stecken, nutzen wir automatisch eine extremere, übertriebene Sprachmelodie. Im Alltag reden wir eher monoton, aber mit Kindern sprechen wir anders (erhöht die Tonlage): „Ach ist das schön. Das machst du toll!“ Diese übertriebene Melodie ermöglicht es Kindern, Sprache besser zu begreifen und mit Emotionen zu verknüpfen, und das hilft wiederum beim Erlernen und Abspeichern. Insbesondere Kindern mit Hörschädigung hilft diese Methodik, Sprache zu verstehen und anzuwenden. Auch Wiederholungen sind hilfreich, oder den Kindern das Gesagte zu spiegeln und die Dinge zu modulieren und richtig wiederzugeben.

In der neuen Johannesschule wird es auch einen Musik- und Theaterraum geben – welche Vorteile sehen Sie dadurch für den Unterricht?

Im neuen Musikraum läuft alles zusammen. Jeder und jede hat die gleichen Voraussetzungen, weil dort einfach alle Instrumente und Materialen zu finden sind, die für den Musikunterricht gebraucht werden. Jede Klasse soll künftig einmal wöchentlich den Raum nutzen, um Musikunterricht und Facheinheiten durchzuführen. Und ein spezieller Raum für Musik und Theater gibt den Kindern und Jugendlichen zusätzliche Struktur. Es spielt sich nicht alles im Klassenzimmer ab, sondern der Unterricht verteilt sich auf die Fachräume. Im Musikraum wird musiziert, darauf können sich die Kinder und Jugendlichen einstellen.

Wie wichtig ist Musik und Tanz für die körperliche Entwicklung?

Im neuen Raum gibt es zusätzlich eine Bühne, so dass wir mit den Schülerinnen und Schülern nicht nur Instrumente spielen können, sondern auch in Richtung Musiktheater oder Rollstuhltanz denken können. Die Kinder und Jugendlichen können ihren Körper oder ihre Körperteile durch das Tanzen besser kennenlernen. Der Raum macht vieles möglich. Deshalb freuen wir uns sehr darauf, wenn wir im neuen Schuljahr in der neuen Johannesschule starten können.

Zur Person:

Rahel Terstappen-Klöckner ist seit 2018 Förderschullehrerin an der Wittekindshofer Johannesschule, Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung für den Kreis Borken. Die Förderschullehrerin hat Musik als Hauptfach an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg studiert. Ihr Referendariat absolvierte die heute 38-Jährige an einer Schule für Hörgeschädigte und fokussierte sich dabei auf die musikalische Früherziehung hörgeschädigter Kindergartenkinder. Neben der Betreuung ihrer Oberstufen-Klasse ist Rahel Terstappen-Klöckner Teil der Fachkonferenz Musik und leitet den Lehrerchor der Johannesschule. Ihr Ziel ist es, mit dem Unterrichtsstart im Neubau der Johannesschule zum neuen Schuljahr 2022/23 auch einen Schülerinnen- und Schülerchor wieder aufleben zu lassen und diesen auszubauen.

Der Bericht ist in der Ausgabe "Taktvoll" des Magazins "Durchblick" erschienen.