Statement zum Bundesteilhabegesetz

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Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, äußert sich zum Bundesteilhabegesetz.

von Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshof

Der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BThG) lässt schon seit Monaten auf sich warten. Wenn das Gesetzgebungsverfahren so kompliziert wird wie die Entstehung des Entwurfes, müssen wir uns auf eine lange und in ihren Ergebnissen noch nicht vorhersehbare Diskussion einstellen.

Eine Chance, Unterstützung zu verbessern

Das BThG bietet aus Sicht des Wittekindshofes die einmalige Chance, die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen in Deutschland so zu verbessern, dass sie den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention (UN-Konvention) endlich entspricht. Das ist an vielen Stellen in unserem Lande noch nicht der Fall, obwohl das Übereinkommen bei uns schon seit 2009 gilt. Menschen mit Behinderungen können deshalb in unserem Lande immer noch nicht volle Menschenrechte genießen.

Mensch rückt in den Fokus

Eines der Grundanliegen des BThG ist die Personenzentrierung. Das begrüße ich sehr. Durch das BThG soll der Mensch mit Behinderung in den Fokus rücken. Leistungen sollen nicht mehr länger institutionszentriert bereitgestellt werden, sondern personenzentriert. Aber der Wittekindshof begrüßt die Veränderung, wenn sich die Leistungen wirklich am persönlichen Bedarf von Menschen mit Behinderung orientieren. Das muss vor allem auch für Menschen mit geistigen und schweren mehrfachen Behinderungen sowie psychischen Beeinträchtigungen gelten. Diese Menschen können ihre Wünsche und ihren persönlichen Bedarf oft nicht selbst mit Worten formulieren und ihre Rechte einfordern. Aber auch wer nicht mit Worten spricht, hat Wünsche, die unbedingt berücksichtigt werden müssen. Deswegen brauchen sie kompetente Unterstützer, die sie gut kennen und ihre Rechte vertreten können. Die Behörden, die über die Gewährung der Hilfen zu entscheiden haben, müssen diese Begleitung unbedingt mit zu Rate ziehen, damit nicht am Bedarf der Betroffenen vorbei geplant wird. Bei der Feststellung des Hilfebedarfs und der Hilfeplanung müssen Menschen mit Behinderung und bei Bedarf ihre Unterstützer direkt und verbindlich einbezogen werden.

Regelungen werden nicht vereinfacht

Der Wittekindshof hat sich schon vor Jahren vom selbstverständlichen all-inclusive Angebot verabschiedet. Es gibt weiterhin Menschen, die Angebote in den Bereichen, Wohnen, Gesundheit, Bildung, Arbeit und Freizeit von Kindesbeinen bis in hohe Rentenalter von uns in Anspruch nehmen wollen. Sie begrüßen ausdrücklich die damit verbundene Sicherheit und Zuverlässigkeit. Aber zunehmend mehr Menschen wählen aus. Sie nutzen unterstütztes Wohnen vom Wittekindshof, aber bevorzugen die Sportangebote des örtlichen Sportvereins und haben sich für einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt der Lebenshilfe entschieden. Die Angebote kommen nicht mehr aus einer Hand. Vermutlich wird im Bundesteilhabegesetz betont, dass sie wie auch einer Hand erbracht werden sollen. Dafür werden gerade Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung Koordinatshelfer benötigen. Lotsen werden auch nötig sein, um im Dschungel der Sozialgesetze nicht den Überblick zu verlieren und wirklich die Angebote nutzen zu können, die einem zustehen. Nach allem, was wir bisher wissen, wird das BThG die Chance nicht nutzen, die gesetzlichen Regelungen aus verschiedenen Sozialgesetzbüchern zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Das wäre eine echte Erleichterung für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen gewesen.

Mehr Geld benötigt

Wenn man die immer noch bestehenden Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen in unserem Lande weiter abbauen möchte, wird man dafür entsprechende Gelder in die öffentlichen Haushalte einstellen müssen, vor allem von Seiten des Bundes. Die für das Gesetz ursprünglich vorgesehenen fünf Milliarden zusätzliche Bundesmittel sind leider schon für andere Zwecke vergeben worden. Soll das Gesetz wirklich kommen und gelebt werden, muss das anders werden.